Erdbeeren und Erntehelfer

Wir sind gerade mittendrin in der Erdbeer-Saison. Wer schon einmal im eigenen Garten oder auf einem Selbsterntefeld Erdbeeren gepflückt hat, der weiß: Das braucht seine Zeit.
Im letzten Jahr (2019) wurden in ganz Deutschland insgesamt knapp 144.000 t Erdbeeren geerntet, und zwar fast ausschließlich von ausländischen Erntehelfern. Die meisten deutschen Erdbeerbauern haben ein mehr oder weniger stabiles Team aus Polen oder Rumänien, die jedes Jahr zur Ernte kommen.
Dieses Jahr war vieles anders. Auch für die Erdbeerbauern. Der Verband Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer e.V. hat eine Umfrage gestartet, an der sich 381 Betriebe beteiligt haben. Hier ein paar interessante Ergebnisse:
• Aufgrund der Corona-Turbulenzen hatten die Betriebe durchschnittlich 28% weniger Arbeitskräfte als in anderen Jahren.
• 61% der Betriebe hat während der Erntesaison auch regionale Helfer eingestellt; die meisten davon waren Studenten und Menschen, die in Kurzarbeit waren.
• 30,2% der deutschen Helfer hörte nach einem Tag wieder auf; 24,1% blieb die gesamte vereinbarte Zeitdauer bei der Stange. Die anderen verließen den Ort des Geschehens nach wenigen Tagen oder Wochen.
• 79,7% klagten über körperliche Beschwerden oder Überanstrengung. 56,1% hörten vorzeitig auf, weil sie in ihren ursprünglichen Beruf bzw. zum Studium zurückkehren konnten.
• Und schließlich: Die durchschnittlichen Mehrkosten pro Erntehelfer beriefen sich in dieser Saison auf 880 €. Dies ist die Summe aus Flugkosten (234 €), Schutzmaterial wie Masken, Desinfektionsmittel, … (142 €) und zusätzlichen Kosten für die Unterbringung, da die Unterkünfte aufgrund des Infektionsschutzes nur nicht voll belegt werden konnten (504 €)
Hinter diesen Zahlen stehen Geschichten. Ein junger Mann, der auf einem Obsthof als Fahrer angeheuert hat, erzählt mir von der Reise nach Schottland, die er mit Freunden geplant hatte. Etliche Monate hatten sie nach dem Abi gejobbt, um sich den Traum von der gemeinsamen Tour zu erfüllen. Kurz vor dem Aufbruch kam der Shutdown. Jetzt fährt er Erdbeeren zu verschiedenen Verkaufsständen – Lieferwagen statt Campingbus.
Ein Betriebsleiter erzählt, wie vor einem angekündigten Nachtfrost im Mai alle Erdbeerfelder abgedeckt werden müssen. Am Tag vor dem Frost regnet es den ganzen Tag. Rumänische und deutsche Helfer geben alle ihr bestes, und am Abend sind alle Erdbeeren abgedeckt. Und alle Helfer sind zufrieden. Für die deutschen Helfer ist es vielleicht sogar eine tiefere Zufriedenheit als nach einem Bürotag in gesichertem Arbeitsverhältnis.
Und für die Landwirte, die Erdbeeren im Folientunnel anbauen und folglich schon ein paar Wochen früher mit der Ernte begonnen haben, glich die Einreise der Erntehelfer einem spannenden Schauspiel. Ende März fiel die politische Entscheidung: Erntehelfer dürfen unter bestimmten Bedingungen einreisen. In den ersten Aprilwochen stellte sich heraus: Unter den rumänischen Helfern ist Flugangst ein verbreitetes Thema. Viele setzten sich zur diesjährigen Erdbeerernte das erste Mal in ihrem Leben in ein Flugzeug. Und viele trauten sich auch nicht. Während die Erdbeeren in den deutschen Folientunnels eilenden Schrittes der Reife entgegen röteten, wurden in Rumänien noch eifrig Kontrollen durchgeführt und Flüge verschoben. Auf vielen Betrieben kamen die Helfer dann wirklich auf den allerletzten Drücker.

Quellenangabe Zahlen: Pressemitteilung VSSE vom 28.5.2020
Bildnachweis: Katja Brudermann