Zum November

Lange Nächte und trübe, graue, nasse und kalte Tage – der November ist nicht gerade der beliebteste Monat in unseren Breiten. Die meisten Kulturen sind nun abgeerntet; die letzten Äpfel hängen noch an den Bäumen, zum Beispiel die Sorte Braeburn, die es hierzulande erst auf den letzten Drücker zur Reife schafft. Nachdem die Saison für Tomaten, Gurken und Paprika zu Ende gegangen ist, wächst in vielen Gewächshäusern der winterliche Feldsalat. Auf vielen Getreidefelder findet man jetzt Raps oder andere so genannte Zwischenfrüchte – sie entziehen dem Boden die noch verbliebenen Nährstoffe, sterben mit dem ersten Frost ab und werden im Frühjahr in den Boden eingearbeitet. Der Vorteil einer Zwischenfrucht: Sie verhindert, dass Pflanzennährstoffe wie Stickstoff ins Grundwasser ausgewaschen werden, und sie erhöht langfristig den Anteil organischer Substanz im Boden und machen diesen damit fruchtbarer und robuster, wenn es zum Beispiel darum geht, starke Wechsel von Trockenheit und Niederschlägen auszugleichen oder dem Gewicht der Traktoren standzuhalten.
Elektrisches Licht, jederzeit verfügbares Internet und der globale Handel mit frischem Obst und Gemüse – all diese Errungenschaften unserer modernen Welt lassen sich in ihren Vor- und Nachteilen aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten. In dieser Jahreszeit wird deutlich: Sie sind mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, den Sommer festzuhalten. Der Rhythmus der Natur besteht derweil unbeirrt weiter: Der Sommer ist geprägt von viel Sonnenlicht, Wärme, einer immensen Fülle verschiedener Pflanzen, die rasch wachsen und sich in ihren Farben und Formen gegenseitig übertreffen. Die Aufmerksamkeit ist automatisch stärker bei dem, was um uns herum passiert und getan werden muss. Zum Winter hin wendet sich das Blatt: Es wird kälter und dunkler, viele Pflanzen sterben ab oder verlagern ihre Lebendigkeit nach innen oder unter die Erde. Die dunkle Jahreszeit dient an sich auch den Menschen dazu, die eigene Aufmerksamkeit stärker nach innen zu richten, auf die eigenen Erinnerungen, Gedanken und Gefühle. Genau diesen Übergang, in dem die Aufmerksamkeit von den äußeren Gegebenheiten und Aktivitäten zur inneren Lebendigkeit übergeht, hakt in unserer heutigen Welt, in der die Reize von außen nicht weniger werden, egal wie kurz die Tage im Herbst und Winter geworden sind. Die Aufmerksamkeit findet ihren Weg von außen nach innen nicht so leicht.
Anfang November stehen die Feiertage Allerheiligen und Allerseelen im Kalender. Es sind Tage, an denen wir traditionell der Verstorbenen gedenken, und wenn wir uns an Menschen erinnern, die gestorben sind, ist die Aufmerksam ganz von allein von all den äußeren Anforderungen nach innen gelangt. Eine andere Möglichkeit, gemäß der Jahreszeit verstärkt in sich zu gehen ist, regelmäßig an einem Abend in der Woche bewusst für eine halbe Stunde Licht und Internet und Smartphone auszuschalten und stattdessen eine Kerze anzuzünden – ob allein oder im Kreis von Familie oder Freunden ist nicht so wichtig. Was zählt ist, dass sich jeder auf seine Art auf dieses stille Experiment einlässt und beobachtet, wie der Kerzenschein Stimmung, Gedanken, Gefühle und Gesprächsthemen beeinflusst. Und vielleicht finden Sie ja an der lauschigen halben Stunde so viel Gefallen, dass Sie Dauer und Häufigkeit ausdehnen möchten…

Bildnachweis: Katja Brudermann