Zum September

Unlängst habe ich einen Schäfer besucht – Dieter Mack ist einer von rund 200 Schafhaltern in Baden Württemberg und Vorsitzender der hiesigen Wollerzeugergemeinschaft. Wolle ist an sich ein tolles Produkt – natürlich, regional und vielseitig einsetzbar. Doch der Verkauf der bei der jährlichen Schur anfallenden Wollmengen ist für Dieter Mack und seine Kollegen in den letzten Jahren reichlich unerfreulich geworden. „Für einen Preis zwischen 3 und 4 €/kg haben wir als Verband unsere Wolle über viele Jahre an Händler abgegeben. Vor etwa drei Jahren begannen die Preise zu sinken, und heute liegen sie unter einem Euro.“ berichtet er. Gemeinsam mit den Schäferkollegen aus Bayern wurde Locwool gegründet – eine eingetragene Marke, die für hochwertige, heimische Wolle steht, die zu fairen Preisen für die Schäfer verkauft werden soll.
Die Vermarktung wieder in die eigenen Hände zu nehmen scheint eine gute Idee, die bei näherer Betrachtung unerwartet tiefe Einblicke in unser Land gewährt. Natürlich hat kein Verbraucher Interesse an Rohwolle frisch vom Schäfer – sie muss gewaschen und kardiert (gekämmt) werden, bevor sie zu Garn oder Filz und schließlich zu Kleidung, Heimtextilien oder Baustoffen weiter verarbeitet wird. Dass Kleidung inzwischen zum überwiegenden Teil im Ausland gestrickt und genäht wird, daran haben wir uns schon irgendwie gewöhnt. Den Gründern von Locwool wurde bewusst: In Deutschland sind die Fabriken, die Wolle in größerem Stil waschen und kardieren, quasi ausgestorben. Bevor die Locwool-Wolle für die Textilindustrie interessant wird, muss sie also ins Ausland transportiert, aufbereitet und zurückgeholt werden. Den für die Schäfer angemessenen Verkaufspreis zuzüglich der Kosten für Aufbereitung und Logistik kommt aktuell nur für wenige regionale Manufakturen in Frage, die nur einen Bruchteil der jährlich wachsenden Wolle verwenden.
Wilhelm Pflanz, Professor für ökologische Tierhaltung an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, unterstützt die Schäfer nach Kräften und plant gemeinsam mit Locwool ein Forschungsprojekt: den Bau einer eigenen Wollwaschanlage, die an die Hochschule angegliedert werden soll. Die Förderanträge sind gestellt und man darf gespannt sein, ob sie bewilligt werden. Die Anlage wäre in der Tat ein Forschungsprojekt. Denn wie genau sie aufgebaut, eingestellt und betrieben werden muss, damit die Wolle ausreichend sauber wird und die Qualität des Abwassers den deutschen gesetzlichen Vorgaben entspricht… das Wissen darüber ist nicht so leicht zu finden, und vieles muss im laufenden Betrieb erst herausgefunden werden.
Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich im Gespräch mit einem Schafhalter auf so intensive Weise mit den grundlegenden Schattenseiten unserer globalisierten Welt in Berührung komme. Die Kunst, große Mengen Wolle zu waschen dürfte nicht die einzige sein, die hierzulande ausgestorben ist, weil sie in anderen Ländern mit niedrigeren Löhnen und weniger gesetzlichen Auflagen leichter zu bewältigen ist. Und zugleich gibt Locwool Grund zur Hoffnung: Das Bestreben, die Wollwäscherei wieder zurück ins Land zu bringen, kann zum Vorbild für andere Formen von Handwerk, Verarbeitung und Landwirtschaft werden.
Übrigens: Auch die Erzeugung vieler alltäglicher Lebensmittel, der Anbau vieler Obst- und Gemüsesorten ist in anderen Ländern mit deutlich weniger Kosten verbunden als hier. Es ist den treuen Landwirten zu verdanken, dass es dennoch jede Menge regionale Lebensmittel gibt, auch wenn beispielsweise im Supermarkt die Erdbeeren aus dem Nachbarort zum Saisonbeginn zum mehr als doppelten Preis neben spanischen lagen. Auch wenn bei den aktuellen Preissteigerungen wohl jeder gelegentlich schluckt und mehr als sonst auf seinen Geldbeutel achtet: Es macht Sinn, nicht in erster Linie sparsam, sondern vielmehr bewusst einzukaufen. Jedes Kilo regional eingekaufter Lebensmittel leistet einen kleinen, aber nicht zu verachtenden Beitrag zum Erhalt der hiesigen Landwirtschaft mit allem, was dazu gehört: die engagierten Landwirte mit ihrem an ihre Region angepassten Fachwissen sowie die Anbau- und Lagertechnik und die Verarbeitung vor Ort. Und: gerade zu dieser Jahreszeit gibt es so viel frische leckere Äpfel, Birnen, Zwetschgen…. genießen Sie´s!

Katja Brudermann für die Bodenseebauern

Bildnachweis: Katja Brudermann