Zum August

Es ist Hochsommer. Während die Tage gegen Ende des Monats empfindlich kürzer werden, bleiben die Temperaturen meist noch sommerlich heiß. Am 1. August wird traditionell der Beginn der Getreideernte gefeiert; entsprechend ist ein alter Name für den 8. Monat in unserem Kalender auch Erntemonat oder Aranmanoth. In der Zeit, aus der diese altdeutschen Namen stammen, sah die Getreideernte anders aus als heute. Im Schweiße seines Angesichts konnte ein Bauer mit der Sichel gerade so viel Getreide einholen und später von Hand dreschen, um den Winter über seine Familie durchzubringen und seinen Tribut an den Großgrundbesitzer abzugeben. Mit der Erfindung der Mähmaschine hielt Mitte des 19. Jahrhunderts die Technik Einzug ins Geschehen. Ein moderner Mähdrescher kann an einem Tag bis zu 1.000 Tonnen Weizen dreschen. Wenn man davon ausgeht, dass jeder Deutsche im Durchschnitt rund 100 kg Weizen im Jahr verzehrt, reicht das Tagwerk eines einzigen Mähdreschers für 10.000 Menschen, also eine ganze Kleinstadt. Dafür kann ein neuer Mähdrescher auch bis zu 300.000 € kosten. Viele Landwirte arbeiten auch heute noch mit kostengünstigeren und weniger schlagkräftigen Modellen, oder lassen ihr Getreide von einem Lohnunternehmer dreschen. Und natürlich besteht der Getreideanbau nicht aus dem Dreschen allein – das Feld will vorbereitet, der Weizen will gesät, gepflegt, gedüngt werden. Und doch: Die technische Entwicklung sorgt dafür, dass heute nicht mehr jeder Mensch den Haupt-Teil seiner Kraft und Zeit einsetzen muss, um genug Nahrungsmittel zu sammeln oder zu ernten. Nur noch rund 2% der Deutschen verdienen heute ihren Lebensunterhalt als Landwirte.
Für alle anderen Berufsgruppen stellt sich die Frage: Was „ernte“ ich eigentlich? Und für wen?
Der August ist ein guter Monat, um das Ernten als Hobby zu betreiben: Brombeeren wachsen wild und ergeben leckere Marmelade. Manche Landwirte bieten Obst und Gemüse zur Selbst-Ernte an. Und vielleicht werfen ja auch die eigenen Beete im Garten oder Balkonkästen etwas ab. In den meisten Berufen ist das Ernten eher eine abstrakte Angelegenheit. Man „erntet“ Informationen, fertig gebaute Produkte, zufriedene Kunden oder zufriedene Chefs.
Innere Zufriedenheit entsteht, wenn man deutlich wahrnimmt: Das, wofür ich meine Zeit und meine Kraft investiere, hat einen Sinn. Die Ergebnisse meines Handelns tragen unmittelbar zum (Über)leben der Gemeinschaft auf unserem Planeten bei. Viele Menschen hierzulande konnten diese Erfahrung in diesem Jahr mehr oder weniger freiwillig machen, wenn sie mangels polnischer Erntehelfer und mangels Arbeitskräftebedarf in der Gastronomie spontan bei der Beerenernte eingesprungen sind. In den Zwischenräumen zwischen Nostalgie und Fortschrittsglauben kann man ja die Gedanken mal laufen lassen, wenn man den nächsten Mähdrescher auf dem Feld sieht, gefolgt von einer dicken Staubwolke. Welche Sehnsüchte tauchen auf, wenn die Bergung von Lebensmitteln so ganz ohne mein Zutun, von modernen, am besten noch selbst-fahrenden Mähdreschern erfolgt? Und was ist mein ganz persönlicher, guter Weg, mit diesen Sehnsüchten umzugehen?

Bildnachweis: Katja Brudermann