Zum November

Auf der Beliebtheits-Skala der Monate gewinnt der November sicher nicht den ersten Preis. Die Nächte sind lang, die Tage sind kalt, das typische Wetter: Nieselregen und Nebel. Gemütlichkeit ist in dieser Jahreszeit eher drinnen vorm Ofen als draußen zu finden. Die November-typischen Feiertage wirken auch alle mehr oder weniger düster und grau: Allerseelen am 1. November, Volkstrauertag am 15. November, Totensonntag am 22. November. Es scheint zum Novemberwetter zu passen, der Toten zu gedenken. Und es scheint in unserer Kultur verankert zu sein, dass die fröhlichen Feste wie Weihnachten oder Ostern mit Kerzenschein und Geschenken viel mehr im Vordergrund stehen. Dabei haben die Novembersonntage mit ihrem Focus durchaus ihrem Charme – stets geht es darum, sich an die Verstorbenen zu erinnern.
Hier eine ungewöhnliche Anregung, sich mit den Themen der Novembersonntage auseinanderzusetzen:
Wie haben die Menschen, die inzwischen gestorben sind, eigentlich gelebt? Vor 100 Jahren? Im Mittelalter? In der Steinzeit oder noch weiter zurück? Wenn´s draußen so ungemütlich ist, kann man gut mal in den eigenen Hirnwindungen spazieren gehen und schauen, welche Bilder aus der Vergangenheit der Menschheit auftauchen, vielleicht aus Erzählungen der Großeltern, aus Geschichtsbüchern oder Dokumentationen im Fernsehen. Vielleicht ein Bauer, der sein Feld mit einem Pferd pflügt, ein Indianer, der über die Prärie reitet, eine Gruppe von Steinzeitmenschen, die gemeinsam am Feuer sitzen. Und dann kommt der Vergleich mit der heutigen Zeit, und mit ihr die Frage: Für welche Errungenschaften der Neuzeit bin ich denn aufrichtig dankbar? Und in welchen Aspekten würde ich zu gern mal die Zeit zurückdrehen? Ein paar typische Erfindungen, die mehr oder weniger neu sind:
elektrisches Licht, Zentralheizung, Mikrowelle
Smartphone und jederzeit verfügbarer Zugriff aufs Internet
Bürojobs statt Feldarbeit
die Liste lässt sich erweitern…
Mehr denn je braucht unsere Gesellschaft die Frage: Was von den vielen Dingen, die wir unter dem Begriff „Fortschritt“ zusammenfassen, ist für die Gesellschaft wie auch für jeden Einzelnen wirklich als Fortschritt spürbar? Und was ist bei aufrichtiger Betrachtung eher ein Rückschritt oder eine Sackgasse?
Der November ist ein guter Monat, die eigenen Gedanken einfach mal spielen zu lassen, sich mit anderen darüber auszutauschen und mal was ganz Altmodisches, fast in Vergessenheit Geratenes zu tun: Märchen vorlesen statt Youtube gucken, Eicheln sammeln und Eichelkaffee draus brauen statt den Kaffeevollautomaten einzuschalten, Socken stricken statt sie online zu bestellen… und sich überraschen lassen, was die eigene Phantasie noch so zu Tage bringt.

Bildnachweis: Katja Brudermann